Pfarrwitwenhaus Groß Zicker


Anzeige

Pfarrwitwenhaus Groß Zicker

Pfarrwitwenhaus Groß Zicker


Eine Hinterlassenschaft aus der relativ kurzen Herrschaft Dänemarks über das nördliche Vorpommern findet man mit dem Pfarrwitwenhaus in Groß Zicker. Die Art und Weise wie man hierzulande die Witwen der verstorbenen Pfarrer nach dessen Tode versorgte fand der dänische König Friedrich IV. doch etwas befremdlich, so dass er mit der Errichtung von Pfarrwitwenhäusern diese Praktiken beenden wollte. Geändert hat seine Reform letztlich nicht viel, denn durch den Frieden von Frederiksborg gelangten die schwedischen Könige wieder in den Besitz Vorpommerns, zumindest bis hin zur Peene, und führten wieder die alten Regelungen ein, welche für etwas über ein halbes Jahrhundert lang wieder Gültigkeit besitzen sollten. Die Problematik der sogenannten Pfarrwitwenkonservierung trat aber erst mit der Reformation auf, welche im Herzogtum Pommern schon im Jahre 1534 umgesetzt wurde. Die Reformation war für die meist unter chronischen Geldproblemen leidenden pommersche Herzöge ein Segen, denn durch die Säkularisation von kirchlichen Besitzungen konnten diese ihre Einnahmen deutlich aufbessern.

Für die nun evangelischen Pfarrer brachte die Reformation nun auch die Möglichkeit zu Heiraten und Kinder in die Welt zu setzten. Das Problem welches man bei dieser Änderung zunächst nicht bedacht hatte, war die Versorgung der Witwe und der eventuell vorhandenen Kinder. Während bei den Bauern der Hof in den Besitz des ältesten Sohnes überging, der daher auch für die Versorgung der Witwe zu sorgen hatte, gab es für die Familien der Pfarrer diese vererbbare Einkommensquelle nicht. Anfänglich standen die Witwen nach dem Tod ihres Mannes mittellos da, weshalb man dazu überging, ihnen ab der Mitte des 16. Jahrhunderts einen kleinen Teil der Einkünfte sowie ein Quartier zu Verfügung zu stellen. Dieses Lösung wurde aber trotz der relativ geringen Höhe der Zahlungen trotzdem recht kostspielig, weshalb man dazu überging die Vergabe der jeweiligen Pfarrstellen an die Bedingung zu knüpfen, die Witwe oder eine ihrer eventuell vorhandenen Töchter zu heiraten, damit diese versorgt waren. Mit dieser Regelung löste man gleich mehrere Probleme. Zum einen sparte man sich das Geld für die notwendig gewordene Hinterbliebenenversorgung, zum anderen wusste man die Pfarrwitwen gut versorgt.

Dank dem später als Landvogt von Rügen eingesetzten Juristen Matthäus von Normann, welcher durch sein von ihm verfasstes Rechtsbuch die Durchsetzung des rügischen Gewohnheitsrechts festigen konnte, galt dieses Gewohnheitsrecht auch für die Besitzungen der Pfarrer. Da diese durch notwendig gewordene Investitionen in den Unterhalt ihrer Wohnhäuser Rechtsansprüche gegen spätere Nutzer erhielten, die ihre Witwe gegenüber dem neuen Pfarrer geltend machen konnte, der wiederum sich solch hohe Ausgaben nicht leisten konnte. Daher kam für die neuen Pfarrer auch nur die kostengünstige Alternative in Frage, bei der sie durch eine Hochzeit nicht nur eine Stellung erhielten, sondern sich auch in ein gemachtes Nest setzen konnten. Da man zu dieser Zeit noch Ehen ausschließlich aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen einging, dürfte es für die potentiellen Eheleute keine wirklichen Gründe gegeben haben, eine solche Beziehung nicht einzugehen.

Das Interessante bei dieser Nachfolgeregelung dürfte die faktische Vererbung der Pfarrstellen über die Familie der Frauen sein, denn solch geartete Erbfolgeregelungen findet man sonst eigentlich nur in matriarchalischen Gesellschaften. Aber schon Anfang des 18. Jahrhunderts begann man in der Gesellschaft die derzeitige Umsetzung der Witwenversorgung mehr und mehr kritischer zu sehen, die Wiedereinführung der alten Regelungen dürfte wohl nur der Tatsache geschuldet sein, dass die schwedischen Landesherren Vorpommerns aufgrund des verlorenen Krieges ein Geldproblem hatten. Im Jahre 1775 wurde eine Versorgungskasse für die Angehörigen der Geistlichen ins Leben gerufen und überall im Herrschaftsgebiet weitere Pfarrwitwenhäuser errichtet, in denen die Witwen nun ein Obdach fanden.

Da das Pfarrwitwenhaus von Groß Zicker im Jahre 1720 im Zuge der Reform des dänischen Königs errichtet wurde, gilt dieses Haus offiziell zu den ältesten Gebäuden die man auf der Insel Rügen finden kann. Das Besondere an diesem Haus, das zum Bestand der Mönchguter Museen gehört, ist die Tatsache, dass dieses Haus seit seiner Errichtung keinen größeren baulichen Veränderungen unterworfen wurde, so dass man dieses niederdeutschen Hallenhaus allein aus baugeschichtlichen Gründen besuchen sollte. Bei einer Besichtigung des Hauses kann man sich trotz einer nur teilweise vorhandenen Möblierung der Räumlichkeiten heutzutage noch gut vorstellen, wie die damaligen Bewohnerinnen gewohnt haben. Nach Angaben der Kirchengemeinde von Groß Zicker soll das Pfarrwitwenhaus noch bis ins Jahr 1984 bewohnt gewesen sein, bei dem nicht vorhandenen Wohnkomfort heutzutage eine recht schwer vorstellbare Tatsache. Bei der Errichtung des Hauses setzte man aus Kostengründen auf billiges Baumaterial aus der Region. So bestehen die Wände des Gebäudes aus einem Fachwerk aus Holz, dessen Zwischenräume mit Lehm und Stroh ausgefüllt wurden. Das Dach wiederum wurde wie einst üblich mit Reet gedeckt. Vor dem Pfarrwitwenhaus selbst befindet sich ein typischer Bauerngarten, der eine Vorstellung zulässt wie einst die Gärten bewirtschaftet wurden.

Das Pfarrwitwenhaus in Groß Zicker bietet seinen Besuchern nicht nur ein ansehnliches Beispiel für frühere Lebensbedingungen auf der Insel Rügen, sondern auch einen idyllischen Platz für Kunstausstellungen und kulturelle Angebote, wie beispielsweise Lesungen, welche während der Urlaubssaison angeboten werden. Bei einer Radtour auf der Halbinsel Mönchgut sollte man in Groß Zicker ruhig einen Halt anlegen und sich das kleine Museum einmal genauer anschauen. Man sollte aber beachten, dass das Pfarrwitwenhaus nicht das ganze Jahr über zugänglich ist, denn nur von Ostern bis Ende Oktober ist das Museum geöffnet, dafür aber dann auch täglich.