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28. Juli 1912, über tausend Schaulustige tummeln sich am Nachmittag des Tages auf der Prinz-Heinrich-Brücke des mondänen Ostseebades Binz. Etwa gegen 18:15 Uhr wird die Kronprinz Wilhelm erwartet, ein Ausflugsschiff mit dem viele Anwesende mitfahren wollen, die gedrängt auf der kleinen Anlegeplattform der Seebrücke stehen. Das historische Ereignis, welches sich in wenigen Minuten ereignen wird, sollte noch tagelang die Titelseiten der deutschen Tageszeitungen füllen. Was der eigentliche Grund für das dramatische Unglück war, dem wir übrigens heute die Existenz der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft verdanken, weiß niemand mit genauer Sicherheit. Ob die Kronprinz Wilhelm die Seebrücke beim Anlegemanöver rammte oder der hintere Teil der Seebrücke unter der hohen Last der Schaulustigen zusammenbrach, um die hundert Menschen fanden sich plötzlich in der mehrere Meter tiefen Ostsee wieder, die meisten von ihnen ohne überhaupt schwimmen zu können.
Nur durch das beherzte Eingreifen einiger Mutiger konnten viele Leute vor dem Ertrinken in der Ostsee gerettet werden. Besonders mutig zeigte sich dabei ein gewisser Richard Römer, der allein zwölf Menschen aus den Fluten zog und vor Erschöpfung fast selbst ein Opfer des Unglücks geworden wäre. Leider konnten nicht alle Leute gerettet werden, insgesamt mussten sechzehn Menschenleben beklagt werden. Durch seinen seinem besonderen Mut gilt Richard Römer heute als der eigentliche Vater der DLRG, einer Organisation, welche seit ihrer Gründung am 19. Oktober 1913 schon vielen tausend Badegästen das Leben retten konnte.
Mit der der einstigen Prinz-Heinrich-Brücke hat die heutige Binzer Seebrücke nicht viel gemein als den Standort in der Nähe des mondänen Kurhauses, denn schon wie der im Jahre 1902 errichtete Vorgängerbau wurde die Prinz-Heinrich-Brücke ein Opfer der Naturgewalten. Während die erste Seebrücke bei einer Sturmflut in der Neujahrsnacht 1905 vernichtet wurde, war es die Gewalt des Eises, welche im Winter des Jahres 1942 nicht nur die Binzer Prinz-Heinrich-Brücke, sondern auch den Steg der Selliner Seebrücke zerstörte. Über fünf Jahrzehnte musste das Ostseebad Binz auf sein markantes Wahrzeichen verzichten, denn erst in den 90ér Jahren des letzten Jahrhunderts kamen wieder Pläne auf, die Seebrücke wieder aufzubauen. Betrachtet man aber die historischen Aufnahmen der Prinz-Heinrich-Brücke mit der im Jahre 1994 errichteten Seebrücke, haben die beiden Seebrücken nicht wirklich viel gemeinsam.
Nicht nur, dass der hölzerne Brückensteg deutlich kürzer geworden ist, statt der einstigen fünfhundertsechzig verfügt die heutige Binzer Seebrücke nur noch über dreihundertfünfzig Meter Länge, auch die Aufbauten, wie beispielsweise das markante Brückenhaus mit den vier Türmchen an jeder Ecke, finden sich nicht wieder. Viel mehr Glück hatte das benachbarte Ostseebad Göhren, dessen Seebrücke vier Jahre später wieder aufgebaut wurde. Dieser Neubau orientierte sich architektonisch am historischen Original, was dem Sellin eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Insel Rügen wiederbrachte, ein Motiv mit dem das Ostseebad Binz mit seinem recht bescheiden wirkenden Exemplar nicht wirklich konkurrieren kann. Konkurrieren kann sie sehr aber mit ihrer Geschichte, denn wohl keine Seebrücke hat mehr für die Sicherheit der Badegäste gesorgt, als die des Ostseebades Binz.